Dienstag, 7. Dezember 2010

Das ziemlich dicke Ende fünf ganz dünner Wochen

Der Startboulder in "Inshallah" (8c+) - noch gut 20 Züge ohne Rastpunkt bis zur Kette.
Am letzten Tag in Kalymnos – dem ersten seit 5 Wochen mit guten Bedingungen – finished Pirmin seine beiden Projekte „Inshallah“ (8c+) und „Gora Guta Gutarek“ (8c+) innerhalb weniger Stunden.

Ich stehe auf, besser ich wanke auf und irgendwie weiß ich gleich: Also meine Form würd es heute nicht rausreißen, wenn dann nur der kühle Nordwind, der mir ins Gesicht und die Wellen hart an den Strand fährt. Denn leider bin ich gestern einem kleinen Trugschluss erlegen. Da ich keine Uhr besitze, habe ich mich an Hervés Stirnlampe orientiert, um nicht völlig in meiner ziemlich fesselnden Lektüre zu ertrinken. Eine leise Ahnung hatte mich schon ereilt, dass er heute aber ganz schön lange liest, als ich feststellen musste, dass er schon längst mit dem Buch in der Hand entschlummert war. Und das seit vermutlich bereits einigen Stunden. So habe ich mir letzten Endes wohl bis zwei Uhr nachts mein Buch an die Backe geklebt und jetzt beim Aufwanken um acht Uhr morgens merke ich das. Dabei sollte doch heute alles stimmen. Das Wetter, die Form, die Motivation.

Zwei Griffe in der Aufwärmroute angefasst und ich weiß: Zumindest in Punkto Bedingungen stimmt heute wirklich alles. Wind, unter 20 Grad, niedrige Luftfeuchte. Das klingt jetzt gar nicht so besonders, man muss aber wissen, welche Komödie sich hier seit fünf Wochen abspielt. Kein Tag! mit unter 20 Grad und ich glaube auch keiner mit unter 60% relativer Feuchte. Ich konnte es selbst nicht fassen und immer sagte die Prognose: Es wird kühler. Wurde es aber nicht und so habe ich meinen nervlichen Karren ziemlich an die Wand gefahren. Drei Mal war ich sicher hier auf Kalymnos die Segel zu streichen, ohne auch nur eines meiner beiden Projekte geklettert zu haben („Inshallah“ hatte ich eigentlich auch nur begonnen, da „Gora…“ während zwei Wochen komplett nass war). Dann kam wieder ein einigermaßen guter Versuch und ich beschloss weiter zu hoffen. Aber unser Zeitbudget ist am Ende, denn wir wollen ja noch in die Türkei und brauchen mindestens zwei Wochen für die Fotos und Texte dort. Spätester Termin für die Abfahrt also: Morgen früh.

Ich fühle mich zwar noch nicht voll auf dem Damm, aber der Grip gibt mir Mut. Also nochmal kurz die ersten Metern an den Haken hoch und über alle Griffe der Crux bürsten. Dann der erste Versuch des Tages. Ich weiß, ich sollte hier möglichst schnell knipsen, damit die Kraft noch für „Inshallah“ reicht. Ich komme schlecht in die Crux, bin noch zu fahrig, ich spüre die kurze Nacht noch schwer auf der Präzision liegen. Doch ich komme trotzdem am Sprung an den verfluchten Sinter – dem Schlüsselzug – an. Dem Zug, der mich schon sechs oder sieben Mal hat abschmieren lassen, immer weil die Wand einem Stück Seife glich. Diesmal klebt sie förmlich und so klebe auch ich auf einmal förmlich fest am Sinter. Und nein, er rutscht nicht, so wie sonst immer. Ein Schrei entfährt mir, fast ein Knurren, so habe ich diesen Zug verflucht und jetzt endlich ist er in der Tasche. Es fehlen aber noch die 20 Meter 8a zur Kette. Jetzt aber bin ich wach und prügel einfach alles mit absoluter Kontrolle und Präzision weg. Und nehme an der Umlenkung das Schreien und Jubeln wieder auf, aber auch ein wenig das Schimpfen. So viele Versuche in einer 8c+, wahrscheinlich fast über 20! Und die Hälfte davon hätte mir ein Tag Nordwind ersparen können. Trotzdem fällt mir natürlich ein Stein vom Herzen. Das Minimalziel ist in der Tasche. Aber ich will noch mehr!

Leider vermassele ich meinen ersten Versuch des Tages in „Inshallah“ ziemlich, falle sieben Züge vor der Kette. Trotzdem ist das der beste Versuch bisher, die Route – die eine volle Ladung Maximalkraftausdauer verlangt – ist eigentlich noch gar kein richtiger Kandidat zum Durchsteigen. Ich bräuchte besser noch einen Tag Training, aber den habe ich nicht. Aber vielleicht reicht es ja auch so, denn ich merke im zweiten und letzten Versuch, wie ich gut durch den unter den Teil des Daches komme. Tolle Bugkletterei auf Slopern und Löchern und auch in der folgenden, etwas leichteren Lochpassage sehe ich gut aus. Nicht aber viel besser als auch schon. Und auch schon, hieß bisher immer Abflug spätestens sieben Züge vor Schluss.

Vor dem letzten richtig schweren Zug angekommen spüre ich die Wende dann aber kommen. Auf einer Sinterbeule, die immer etwas schmierig war, kann ich auf einmal ganz kurz schütteln und so die rechte Schulter entlasten, die im folgenden schweren Zug etwas mehr Gas geben kann und mich so über die bisherige Bestmarke schiebt. Dummerweise bin ich vollkommen am Ende, klugerweise aber hat mein Kopf jetzt auf alles-Wegreißen umgestellt und so kämpfe ich mich über den letzten schweren Zug – einen weiten Kreuzer aus einem Knieklemmer. Nur noch zwei Züge fehlen. Doch da passiert es, meine Rumpfspannung versagt und ich rutsche aus dem anvisierten Untergriff und setze zum Fallen an. Und es schießt mir durch den Kopf: Nein bitte nicht, du bist so nah dran am perfekten Klettertag, bitte, bitte nicht fallen! Und mein Körper erhöht mein Flehen und schenkt mir nochmal ein paar Extrakörner und im Rutschen, kann ich eine kleine Dulle halten und mich stabilisieren und da weiß ich: Jaaaaaaaaaaaa!!! Ich werde die Kette klippen. Und ich jubele und schreie meine Frust und meine Freude heraus und dann nur noch meine Freude über den perfekten Klettertag. Und ich will gar nicht mehr aufhören und ja, meine Stimme wird morgen früh nach Krankheit klingen, aber das ist doch einfach viel zu schön, viel zu schön…

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