Dienstag, 21. Dezember 2010

Last Minute Man – „Devers Royale“ (8c+) fällt am letzten Tag in Geyikbayiri trotz subzerooptionaler Umstände.

To clip or not to clip. "Devers Royale" stellt den Konsumenten vor knifflige Aufgaben.
Es ist halb fünf Uhr nachts. Erst in einer halben Stunde werde ich den Muezzin zum ersten Mal zum Gebet rufen hören. Von einem Minarett unten im Tal. Es ist die Nacht vor dem letzten Tag unserer zwei Wochen Geyikbayiri bei Antalya in der Türkei und ich habe es bis jetzt auf stolze fünf Klettertage gebracht. Zum einen wegen dem Wetter, zum anderen aber auch hatte ich den Glauben in meine Form verloren und darauf beschlossen gleich direkt zu klettern aufzuhören. In mein Projekt „Devers Royale“ (8c+) war ich vor vorgestern nur noch mal gegangen, um zu sehen, ob all die Ruhetage etwas an der etwas kläglichen Vorstellung der ersten Tage geändert haben sollten. Und sie hatten es tatsächlich, ich war erst weit oben gefallen und hatte also beschlossen nach zwei Ruhetagen alles auf den letzten Tag vor dem Abflug zu setzen. Der ist heute. Es ist halb fünf und ich bin hellwach.

Bereits gestern hatten wir gut angeheitert die halbe Nacht in einer Tropfsteinhöhle mit Neandertalerimitationen verbracht, diese Nacht sollte mich voll erholt und überstark ausspucken, aber leider macht mir meine Freundin das Leben schwer und jetzt denke ich einzig und alleine daran. Ich könnte heulen und möchte kotzen! Bis der Muezzin ruft, bis der Hahn kräht und bis ich es schließlich nicht mehr im Bett aushalte. Acht Stunden Schlaf in zwei Nächten, dazu ein Problem am Hals, das ich wenn es schon sein muss irgendwann anders, aber wirklich nicht heute am Hals haben mag. Ich stapfe also lustlos zum Fels und schweifen meine Gedanken mal zu meinem Projekt ab, dann nur um eindeutig festzustellen: Heute ist kein Tag zum Durchsteigen! Aber das ist ohnehin nicht mein größtes Problem. Also, was soll’s?

„Devers Royale“ ist die schwerste Route und einzige 8c+ in Geyikbayiri. Zu ihrer Bewertung ist sie gekommen, weil Yuji Hirayama sie nach einigen Griffausbrüchen letztes Jahr als erster in ihrem jetzigen Zustand kletterte und sie als schwerste Route der Türkei verkaufte. Was aber nicht heißt, dass sie besonders schwer für den Grad wäre. Als 8c wiederum ein dickes Brett. Bleibt man in Bewertungstonus des Gebiets, geht 8c+ also in Ordnung. Viel interessanter sind ohnehin die Moves, die komplexe Dachkletterei mit Knieklemmern und überhängender Wandkletterei auf Löchern kombinieren und neben ein wenig Maximalkraft, eine solide Ausdauer und ganz oben zudem noch gut Maximalkraftausdauer verlangen. Neben einer guten Kenntnis der Züge versteht sich…

Die 7a zum Aufwärmen bekomme ich ganz gut hin, aber spritzig fühle ich mich nicht. Auch die Bedingungen sind nichts Besonders, immerhin nicht à la Kalymnos, 25 Grad und so... Aber ich hoffe darauf, mir nach ein paar vergeblichen Versuchen zumindest sagen zu können, ich hätte es probiert. Außerdem hoffe ich, dass das Laktat mir den Kopf lüftet. Insgesamt hoffe ich aber ohnehin eher darauf möglichst schnell mit möglichst hochprozentigen Ablenkungen in Kontakt treten zu können. Doch das muss noch ein wenig warten. Noch habe ich meinen Arsch erst eine 7a hochbewegt.

Eigentlich sollte ich mich richtig aufwärmen, einmal volle Lotte (naja, vielleicht besser ¾ Lotte) die Arme aufpumpen, damit ich nachher auch eine ordentliche Pumpresistenz habe, aber irgendwie habe ich mehr Lust, mir meine Klatsche schnell abzuholen und gehe also gleich rein. Unten aber will es nicht so richtig klatschen, die Züge gehen gut, gehen besser, als beim letzten Mal. Ich spule mich zum ersten Ruhepunkt nach dem Dach hoch. Das Knie mit Kneepad im Fels versenkt kann ich erstmal gut durchschnaufen. Die paar Züge Übergang zum nächsten Knieklemmer sind nicht sehr schwer. Und dieser essentielle zweite Ruhepunkt klemmt heute so richtig gut. Essentiell, weil noch eine 8b bis zur Kette wartet. Aber ich kann mich besser denn je erholen, die Spannung wirklich rausnehmen und wie ich da so festklemme und über Kopf in die Landschaft hinausschaue, da merke ich auch, dass jegliche andere Spannung sich verflüchtigt. Was so ein guter, alter Flow nicht so alles bewirken kann! Und ich bin zwar eigentlich der Meinung, lieber eine Frau mehr, als eine 8c+ mehr, aber manchmal trete selbst ich von meinen Überzeugungen zurück.

Bleibt nur noch der 8b-Ausstieg, aber ich habe Vertrauen gesaugt und Kraft getankt. Und so mache ich Zug um Zug, komme gut in die Crux, gut hindurch und gut hinten wieder raus und weiß, – auch wenn noch einige Züge zu machen bleiben – dass hier alles unter Kontrolle ist. Lediglich die letzten fünf Meter dauern noch ein bisschen, weil ich sie noch nie probiert hatte. Aber eine 6c wird mich auch im Onsight nicht aufhalten. Und so mache ich der Freude über den Durchstieg der fünften 8c+ seit Oktober und dem restlichen Frust ziemlich laut und lange Luft. Wie in Kalymnos – wo ich am letzten Tag zwei 8c+ klettern konnte – auch hier wieder ein Last Minute Erfolg. Und wieder ein ganz unverhoffter. Zudem gibt es zwei schöne Statistiken: In vier von sechs der bisher besuchten Gebiete die schwerste Route geklettert und zudem Top 3 auf 8a.nu. Ist nicht viel wert, werden viele sagen, muss man trotzdem erstmal schaffen. Alles gut, alles schön! Wenn die Welt doch nur aus Klettern bestünde…

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