Mittwoch, 10. November 2010

Brutzel – Tage in der Ägäis

Brutzel treibt die Menschen auf Kalymnos massenweise zum Sprung von der Klippe. Bisher zum Glück nur ins Wasser.

Brutzels Schatten. (Nicht zu verwechseln mit Hannes Schatten!)
Eigentlich seit wir in Kalymnos angekommen sind, ist Brutzel unser ständiger Begleiter. Abgesehen vom ersten Tag, da hat er sich kurz ein paar Stunden versteckt, wohl um uns direkt am nächsten Morgen in voller Pracht zu überraschen. Brutzel hat einen niedlichen Namen, sein Wesen aber ist das genaue Gegenteil. Brutzel frisst Haut. Und Gehirnzellen. Und Hautzellen. Und also Nerven. Und mit den Nerven natürlich auch die Motivation. Denn die hängt von den Nerven ja gewissermaßen direkt ab. Man könnte sagen, sie hängt davon herab. Die Motivation. Von den Nervenenden. Jedenfalls pflückt sie Brutzel da ab, isst sie auf und pflückt dann auch noch gleich das Nervenende, verleibt es sich ein und wenn er dann noch nicht satt ist, dann verschlingt er wie gesagt auch noch den ganzen Nerv. Dieser Tage ist er hungrig.

Es gibt einen Ort, an dem man ihn entrinnen kann. Das Meer. Man muss dazu sagen, dass man ihm auch da nicht ganz entrinnen kann, aber er kommt zumindest nicht so gut rein. Das ist dieser Tage aber die einzige Stelle auf der ganzen Insel, an die er nicht so gut hin kommt. Und es gibt auf der ganzen Insel praktisch auch nur einen Ort, an dem man nicht klettern kann. Das Meer. Wo ich das so schreibe, fällt mir ein, dass wir ja eigentlich zum Klettern gekommen waren. Brutzel und meine aufgegessenen Gehirnzellen lassen mich das immer wieder vergessen. In letzter Zeit denke ich immer öfter, wir seien zum Baden, Schnorcheln, Schwammtauchen, Bootfahren, Eis essen und am Strand liegen hier. Und immer öfter beschleicht mich das Gefühl, dass Brutzel sich hat kaufen lassen, von der Gemeindeverwaltung von Kalymnos. Denn wer verdient schon was an kletterenden Outdoorpennern?

Das alles wäre halb so schlimm, gäbe es da nicht jene Institutionen, die vorgeben, sie könnten Brutzels Launen vorhersagen. Sie behaupten, sie könnten dies nicht nur für einige Tage, nein für fast drei Wochen. Wir haben sie also befragt zu fraglichen Launen und sie sollen so bleiben! So weit sie es sich zutrauen in die Zukunft zu blicken, soll es genau so bleiben. Brutzel bleibt! Vielleicht bis in alle Ewigkeit. Oh Gott! Keine Haut mehr auf den Fingern bis in alle Ewigkeit, keine Reibung auf den Felsen für wahrscheinlich mindestens genau so lang, keine Jacken am Einstieg und keine Spur von Wind für… man weiß es nicht. Selbst wenn es nur für eine halbe Ewigkeit ist, auch das ist lang.

Was also wollen wir tun? Uns beugen? Oder kämpfen? Aber wenn kämpfen, dann wie. Brutzel scheint nämlich überall in der Ägäis zu sein und vermutlich auch darüber hinaus. Selbst wenn wir also riesige Kühlaggregate und Ventilatoren heranschaffen, wir werden die Wende damit nicht einläuten. Und wenn wir sie dann abschalten, steht er gleich wieder da über unserer Insel. Groß, schwül und unbewegt.

Ein Plan klingt anders und so werden wir uns beugen. Tief werden wir uns beugen, hinab in den Sand, ins Meer, zu den Schwämmen, über die Reling und in die Eisbecher. Nicht ganz freiwillig, wie der Leser jetzt weiß, aber doch im guten Wissen, dass alles andere als dieses Beugen, von 99,4% der Bevölkerung als vollkommen bescheuert erachtet würde. Man sagt zu Recht. Ich aber will doch noch am Rande anmerken, dass auch das Recht auf einen richtigen Herbst doch im Grundgesetz verfestigt werden sollte…

Und aus jeder Beugung ist doch noch ein Sprung geschnellt, denn sonst hätte das sich Beugen ja auch keinen Sinn. Und so werden wir uns rückbesinnen auf den Geist des Klettern, denn wir sind ja nicht zum Routenabhaken hier, sondern zum Klettern und dann wird die 8c+ halt zu einer ganz neuen Erfahrung, wenn die Haut viel schneller schwindet als gewöhnlich und die Griffe viel weniger Griff sind als gewöhnlich. Aber dann werden wir uns doch das recht nehmen, diese Durchstiege dann mit einem hoch b zu versehen, also 8c+ hoch b für eine durchgebrutzelte Begehung bei 25 Grad, ohne Wind und in der Dunstglocke. Und das alles im November…

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