Sonntag, 24. Oktober 2010

„Mehw Power“ (8c+) – Pirmin klettert zum meteorologischen Herbstbeginn die nun schwerste Route mit dem wohl komischsten Namen der Tarn

Nach der Schlüsselstelle geht  "Mehw power" (8c+) in eine wunderbare 8a+ über. Für Boulderer aber durchaus nochmal gefährlich.
Auf heute habe ich gewartet. Ganz geduldig habe ich gewartet und mir die Zeit in anderen Routen vertrieben, Fotos gemacht, eine 8c gezogen in drei Versuchen über den Glibbergrip der letzten Tage. (Aber ich habe sie auch ein bisschen überlistet mit einer Spezialtrick, so wie man früher drei Tasten hinter einander drücken und gleichzeitig das Steuerkreuz in einer ganz bestimmten Richtung auf dem Gamepad bewegen musste.) Habe im Wissen über die Wetterprognose diese letzten warmen Tage genossen – im Fluss baden, oben ohne in der Sonne hängen. Denn die Vorhersage war gut und simpel. Zehn Grad Temperaturabfall und dazu Wind. Und das merkte man dann auch gleich heute Morgen beim Wasserholen in Les Vignes. Sau kalt, schnelle Wolken und schnelle welke Blätter in den Straßen. Ein richtig schöner Herbsttag in den längst von Touristen geleerten und mit geschlossenen Cafés und Geschäften gesäumten Gorges du Tarn. Ein richtig schöner Herbsttag und im Übrigen der erste dieses Jahr – genau der, auf den ich gewartet habe.

Denn jetzt kann ich zum Ankrallen blasen auf die Minileiste an der Crux von „Mehw power“, laut Silvan Millet wohl 8c+ und noch unbegangen. Der wohl schlechteste Griff, sicher aber die schlechteste Leiste in der ganzen (von Löchern geprägten) Schlucht. So schlecht, dass ich im ersten Versuch in der Route gar glaubte, man (besser ich) könne sie gar nicht halten. Aber da war auch noch nicht Herbst und das Gestein grub sich noch tief in die Haut der Fingerkuppen ein. (So ca. bei einem Viertel der Länge des ersten Fingerglieds – vom Nagel aus gesehen.) Ich fand dann doch einen Weg sie zu halten, mit einem winzigen Tritt zum Schieben, aber der verschwand leider zum Teil und jetzt bleibt wirklich nur noch ein guter Millimeter. Da braucht man schon einen Schuh, der ordentlich Druck konzentriert in der Spitze. Aber all das passt, müsste passen und ohnehin habe ich heut Morgen beim Frühstück schon den Durchstieg angekündigt. Sollte dann also schon passen. Käme auf jeden Fall besser…

Und es ist ja jetzt Herbst und so trete ich voller Zuversicht an und trete voll Zuversicht im ersten Versuch auch gleich den Rest von meinem Trittpatienten ab. Das ist blöd, denn zu meiner Sch***leiste habe ich jetzt nur noch einen weggekrümelten Tritt. Außerdem musste ich feststellen, dass die Crux an die sieben Meter 8a+ mit moderatem Ruhepunkt anzuhängen gar nicht so leicht ist und man durchaus frischer ankommen sollte, als ich soeben. Zur neuen Methode muss also auch eine bessere Taktik her. Diese war bisher auf Maximalkraft konservieren durch Pump (beim Aufwärmen) vermeiden ausgelegt gewesen, also boulderig aufwärmen und nach dem Abgang in der Schlüsselstelle nicht die 8a oben raus klettern. Jetzt aber muss ich einberechnen, dass schon eine kurze 8a+ aus dem Crux-Boulder in gewisser Weise eine Ausdauerherausforderung macht und es eminent wichtig ist am Rastpunkt davor komplett runter zu kommen. Bei der Methode hilft mir zum Glück das Wetter mit seinen sechs Grad und 30km/h Windgeschwindigkeit. Denn plötzlich lässt sich die Leiste auch ein wenig mehr auf Schulter gedreht festhalten, lässt sich der Körper ein bisschen anders in Position bringen für den Schnapper auf das gute Einfingerloch und schon lässt sich so auch der abgekrümelte Tritt vermeiden. Und bei diesem Grip ist der Zug nicht mal schwerer als zuvor. Leider habe ich jetzt schon zwei Versuche inklusive einer guten Bouldersession intus, für eine maximale Route wie diese rechne ich mir also keine großen Chancen mehr aus. Für heute versteht sich. Beim nächsten Mal wird sie sich beugen. Einen solchen Grip voraus gesetzt. Hoffentlich also gefällt es dem Herbst in der schönen Schlucht und er bleibt noch ein wenig.

Es wird langsam Abend, Hannes, der zum Filmen des Durchstiegs extra mit gekommen war, gebe ich Entwarnung, aber einen letzten Versuch mache ich natürlich schon noch, um die neue Methode mal in der Praxis zu testen und die neue Taktik auch, damit ich weiß, ob ich mich das nächste Mal in einer Ausdauerroute aufwärme oder nicht. Es ist nochmals kühler, wohl kaum noch über fünf Grad, der Wind noch immer frisch und unermüdlich. Für eine Route wie diese, nennt man solche Stunden günstig. Werden wir also mal sehen, ob günstig genug für meine angezählte Maximalkraft. Die Einstiegszüge gehen flüssig von der Hand, auch der erste kleine Boulder läuft nur wenig schlechter als in den ersten Versuchen, aber das ist normal, wenn die Kraft nicht mehr bei 100% ist, kein Grund gleich alle Hoffnung in den Wind zu schlagen. (Sie wäre auch ziemlich schnell ziemlich weit weg bei dieser Windgeschwindigkeit und ich würde sie vielleicht nie wieder finden, was mich einer wichtigen Emotion berauben würde.) Denn den Trumpf ziehe ich in diesem Versuch nicht beim Klettern der harten Passagen, sondern beim Hängen am langen Arm am Ruhepunkt vor der Crux. Sowohl der phänomenale Grip, wie auch die durch das vorherige Aufpumpen verbesserte Laktattoleranz lassen es mir hier ziemlich gemütlich werden und ich spüre, dass ich gleich in einigen Augenblicken wirklich frisch an die die Minileiste greifen werde um meinen Körper von dort ins Mono zu katapultieren und dieses dann auch hoffentlich zu treffen, denn es ist ja nicht groß, nur so wie ein 20 Cent Stück.

Und ich schiebe mich dann auch wirklich ganz frisch auf die Minileiste. Nur weiß ich ab dann nichts mehr. (Eine Art retrograde Amnesie, die ich schon öfter bei mir beobachten konnte und die bewirkt, dass ich von schweren Zügen in Durchstiegen hinterher nichts mehr weiß, manchmal auch gar nicht genau sagen kann, wo ich beim Rausfighten eigentlich genau gefallen war). Deshalb kann ich mich nur noch an den Gedankenblitz erinnern, als ich das Einfingerloch dann sicher halte, ich sollte das Ding jetzt aber wirklich raus klettern (wenn der Cruxzug schon einmal gemacht ist). Und obwohl mir fast noch der Saft ausgeht, weil ich irgendwie nicht genug gegessen habe, den Tag über, komme ich ohne Abgang an der Kette an.

Das Ganze in zehn Versuchen, aber in einem Gelände, das mir eher sehr gut liegt, was die Vermutung von Silvan Millet als korrekt nahe legt. Also 8c+ und damit die schwerste Route der Schlucht. (Vor allem, da die 8c’s hier deutlich leichter sind). An einem richtig schön rauen Herbsttag, der zum Klettern harter Routen einlädt, beim Kochen unter freiem Himmel aber schon gut in die Knochen fährt. Und in einer Route mit einem Namen am Einstieg, dessen Sinn es noch zu lüften gilt.

1 Kommentar:

  1. Hier in Kalymnos habe ich es jetzt heraus bekommen, was das "mehw" heißt: Shit, Dope, Gras, all das. Soviel zur Kraft...

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