Provokation. Es ist alter Bergsteigerjargon, wenn ich sage, ich hätte den Berg provoziert. Mein Glück am Berg zu sehr auf die Probe gestellt. Aber in gewisser Weise muss ich genau das zugeben. Es gibt eine gute Kalkulation der Umstände und es gibt eine Schlechte. Ich habe letztere gewählt und mich damit in eine Situation manövriert, die man als Provokation seines Glücks beschreiben könnte. Vor allem auf Grund der konsequenten Missachtung der folgenden drei Umstände: Zunächst dem, dass der Ausstieg von „Cabane au Canada“ pitschnass ist, zweitens dem, dass die Kaltfront, die zum einen für die Nässe und zum anderen für einen Temperaturabfall um satte 10 Grad verantwortlich ist, für einen phänomenalen Grip sorgen würde und drittens dem, dass es doch von Vorteil sein könnte, die Ausstiegspassage seines Projekts zumindest einmal vorher auszubouldern.
All das habe ich aber nicht bedacht oder gemacht und so ist nun einmal folgendermaßen gekommen: Während meiner bisherigen 18 Versuche habe ich mir nie den Ausstieg angesehen, und zwar deshalb, weil er leicht aussieht. Vor meinem 19. Versuch (in dem ich im Übrigen gerade stecke) habe ich mir den Ausstieg von unten angesehen und festgestellt, dass er dunkelschwarz und sicher nass ist. (Was ich nicht gesehen habe, ist, dass auch in der Crux ein Griff ziemlich nass ist.) Direkt vor meinem 19. Versuch hatte ich dementsprechend folgendermaßen gerechnet: Da es der erste Versuch des Tages ist, muss ich mich eh erst mal richtig aufpumpen, bevor ich reelle Durchstiegschancen habe. (Wegen der dabei ansteigenden Laktattoleranz der Muskeln). Dabei kann ich dann gleich den Ausstieg ausbouldern und beurteilen, ob man in ihm in diesem Zustand klettern kann. Denn er sieht ja leicht aus.
Gleich auf den ersten zwei Metern meines 19. Versuches habe ich dann aber gemerkt, dass der Grip und die Kraft super sind (und die Finger eisig). Solche Bedingungen hatte ich für Juli nicht einkalkuliert. Entgegen meiner Rechnungen kam es dann dementsprechend so, dass ich die erste Schlüsselstelle und dann die Zweite und die Dritte und auch noch die Vierte ohne Gefühl in den Fingern und ohne Probleme herunter spulte. Am Ruhepunkt vor der fünften und sechsten Schlüsselstelle, konnte ich dann sogar meine Finger wieder auftauen. Mit warmen Fingern war auch die fünfte schwere Passage ein viel kleineres Problem als sonst und ich dachte schon, jetzt schaffst du auch noch die letzte Crux, als ich im Hinziehen auf den Schlüsselzug der letzten Crux feststellen musste, dass da eine Leiste ziemlich nass ist und im Anfassen musste ich dann zudem feststellen, dass ich jetzt nicht mehr so fest daran glaubte, es auch so noch zu schaffen. Als ich dann unter Hängen, Würgen und Rutschen den nächsten Zug doch noch hinbekam und nur noch ein Schnapper fehlte, dachte ich mir, jetzt kannst es ja noch probieren. (Wobei ich sagen muss, dass ich irgendwie gerne auch gefallen wäre, weil ich an dieser Stelle natürlich längst gesehen hatte, wie sehr der Ausstieg Attribute eines Wasserfalls aufwies und weil ich den Durchstieg gerne auf Video gehabt hätte, wir aber die Seile zum Filmen noch gar nicht aufgebaut hatten.) Ich riss also meinen Fuß hoch, traf den tritt, ließ mich auf den Sloper abfallen und der hielt und da wusste ich, jetzt hast du’s. Aber ganz sicher war ich mir doch nicht, denn ich wusste ja um meine übrigen Fehler in der Kalkulation: Es gibt da noch weitere vier leicht aussehende Klettermeter zur Kette, unbekannt und nass und (da ich mich und den Grip unterschätzte) muss ich diese nun im Durchstieg dieses phänomenalen Versuchs onsight erkunden.
Das ist also in etwa die Geschichte, die mich hierher gebracht hat. An einen eigentlich guten, aber ziemlich feuchten Ruhepunkt vier Meter unter der Umlenkung von „Cabane au Canada“ (9a) in Rawyl, im französischsprachigen Teil des Wallis in der Schweiz an einem 24. Juli, an dem frostige neun Grad herrschen. Und ich weiß, ich kann den Sack zu machen. Ich weiß nur noch nicht wie.
Ich nehme also mal den Seitgriff über mir. Trocken aber schlecht. Hmm, vielleicht doch nicht den! Also zurück und noch einmal chalken. Vielleicht den nassen Henkel links? Nass aber gut. Dürfte halten. Mal hochblocken auf das Sloperband, an dem vor drei Tagen noch Tickmarks waren, das ich jetzt aber erst mal auf einem halben Meter Breite abtasten muss auf der Suche nach der Vertiefung. Hüfte an die Wand, denn nasse Sloper rutschen gern! Das nächste Band betasten. Hmm, sehr nass, könnte rutschen. Tut es aber nicht. Auch nicht, als ich die Füße hochnehme über den Bauch. So, das Gröbste wär geschafft. Noch ein bisschen hoch und seitlich über die Platte eiern, Griffe suchen. Der Zweifel stirbt zuletzt und erst als ich – die Kette vor der Nase – stabil stehe, ist er tot. Und jetzt fange ich tief drinnen an zu jubeln und zu lachen und ich häng besser noch schnell das Seil ein und dann fange ich auch draußen an zu jubeln und zu lachen und die Gämsen springen, denn das sind sie nicht gewohnt.
Und auch ich bin sowas nicht gewohnt und ich will euch allen danken und mit euch springen, denn das ist das schöne, schnelle Ende einer Affäre mit einer klasse Route, die vor eins verlangt: Ausdauer. 80 schwere Züge, sechs harte Passagen, dynamisches Heppen an tollem, horizontal gebändertem Fels, Leisten, Sloper, Löcher und alles auf einer 30° überhängenden Ebene, immer an der Armen, immer unter Strom, zum Teil am Rande der konditionellen Fähigkeiten. Und das beim Sportklettern.
Ende Juni hatte ich sie ohne Form und Kraft kurz probiert, drei Versuche, dann nach zwei Wochen Deutschland wieder Mitte Juli, bei schwülstem Wetter, mit etwas mehr Form, aber komplett ohne Ausdauer, hatte mich auf mindestens 30 Versuche eingestellt, denn ich musste noch fünf Mal im Seil ruhen, um überhaupt ans Ende der Schwierigkeiten zu gelangen. Eine Woche später falle ich bestenfalls in der dritten Crux, bei einem Drittel der Route. Dann ein heftiges Gewitter und ich falle plötzlich kurz vor der sechsten Crux, sechs Meter unter der Kette, bin aber völlig am Ende. An dieser Stelle so gepumpt anzutanzen, wird mir der Berg hier auf jeden Fall nicht durchgehen lassen. Beim Weiterbouldern trete ich einen Tritt ab und reiße den Daumenpart von der Zange in der Schlüsselstelle. Der Erstbegeher Lionel Clerc hatte mir gesagt, dort sei er noch viele Male gefallen. Ich stelle mich auf noch einige Versuche ein, aber schon fünf von ihnen später kommt der 24. Juli und das Ende meiner Affäre mit der schönen „Cabane au Canada“.
Und was die harten Fakten betrifft: Als erster Wiederholer einer 9a in einer vor Überbewertungen nicht gefeiten Region, muss ich sagen: Stimmt’s oder stimmt’s nicht? Für meine Erstbegehung „Force du rapport“ (9a) in Charmey im April hatte ich 35 Versuche gebraucht und die liegt mir mehr, denn ich bin kein expliziter Ausdauerspezialist. Man muss aber auch sagen, dass in einer Route wie „Cabane…“ ein Versuch mindestens so viel Training ist wie zwei in einer kürzeren Route. Insofern sollte man die Versuchsanzahl nicht überbewerten. Ich hätte sie vielleicht trotzdem anders bewertet, wäre es eine Erstbegehung von mir gewesen, aber das liegt daran, dass ich für den nächst höheren Grad die doppelte Anzahl Versuche fordere. Eine Forderung, der wohl wenige andere Kletterer nachkommen, die aber dem exponentiellen Wesen der französischen Skala entspricht. Für viele reicht das Prädikat „schwerer“ aber für den nächst höheren Grad auch schon. Zudem denke ich nicht, dass die heutigen Mode 9a’s in Santa Rodellar schwerer als „Cabane…“ sind, wissen werde ich das aber frühestens im Winter. For so long: Lassen wir den Grad, wie er ist, denn er ist so schön, wie seine Trägerin!
Das ist also in etwa die Geschichte, die mich hierher gebracht hat. An einen eigentlich guten, aber ziemlich feuchten Ruhepunkt vier Meter unter der Umlenkung von „Cabane au Canada“ (9a) in Rawyl, im französischsprachigen Teil des Wallis in der Schweiz an einem 24. Juli, an dem frostige neun Grad herrschen. Und ich weiß, ich kann den Sack zu machen. Ich weiß nur noch nicht wie.
Ich nehme also mal den Seitgriff über mir. Trocken aber schlecht. Hmm, vielleicht doch nicht den! Also zurück und noch einmal chalken. Vielleicht den nassen Henkel links? Nass aber gut. Dürfte halten. Mal hochblocken auf das Sloperband, an dem vor drei Tagen noch Tickmarks waren, das ich jetzt aber erst mal auf einem halben Meter Breite abtasten muss auf der Suche nach der Vertiefung. Hüfte an die Wand, denn nasse Sloper rutschen gern! Das nächste Band betasten. Hmm, sehr nass, könnte rutschen. Tut es aber nicht. Auch nicht, als ich die Füße hochnehme über den Bauch. So, das Gröbste wär geschafft. Noch ein bisschen hoch und seitlich über die Platte eiern, Griffe suchen. Der Zweifel stirbt zuletzt und erst als ich – die Kette vor der Nase – stabil stehe, ist er tot. Und jetzt fange ich tief drinnen an zu jubeln und zu lachen und ich häng besser noch schnell das Seil ein und dann fange ich auch draußen an zu jubeln und zu lachen und die Gämsen springen, denn das sind sie nicht gewohnt.
Und auch ich bin sowas nicht gewohnt und ich will euch allen danken und mit euch springen, denn das ist das schöne, schnelle Ende einer Affäre mit einer klasse Route, die vor eins verlangt: Ausdauer. 80 schwere Züge, sechs harte Passagen, dynamisches Heppen an tollem, horizontal gebändertem Fels, Leisten, Sloper, Löcher und alles auf einer 30° überhängenden Ebene, immer an der Armen, immer unter Strom, zum Teil am Rande der konditionellen Fähigkeiten. Und das beim Sportklettern.
Ende Juni hatte ich sie ohne Form und Kraft kurz probiert, drei Versuche, dann nach zwei Wochen Deutschland wieder Mitte Juli, bei schwülstem Wetter, mit etwas mehr Form, aber komplett ohne Ausdauer, hatte mich auf mindestens 30 Versuche eingestellt, denn ich musste noch fünf Mal im Seil ruhen, um überhaupt ans Ende der Schwierigkeiten zu gelangen. Eine Woche später falle ich bestenfalls in der dritten Crux, bei einem Drittel der Route. Dann ein heftiges Gewitter und ich falle plötzlich kurz vor der sechsten Crux, sechs Meter unter der Kette, bin aber völlig am Ende. An dieser Stelle so gepumpt anzutanzen, wird mir der Berg hier auf jeden Fall nicht durchgehen lassen. Beim Weiterbouldern trete ich einen Tritt ab und reiße den Daumenpart von der Zange in der Schlüsselstelle. Der Erstbegeher Lionel Clerc hatte mir gesagt, dort sei er noch viele Male gefallen. Ich stelle mich auf noch einige Versuche ein, aber schon fünf von ihnen später kommt der 24. Juli und das Ende meiner Affäre mit der schönen „Cabane au Canada“.
Und was die harten Fakten betrifft: Als erster Wiederholer einer 9a in einer vor Überbewertungen nicht gefeiten Region, muss ich sagen: Stimmt’s oder stimmt’s nicht? Für meine Erstbegehung „Force du rapport“ (9a) in Charmey im April hatte ich 35 Versuche gebraucht und die liegt mir mehr, denn ich bin kein expliziter Ausdauerspezialist. Man muss aber auch sagen, dass in einer Route wie „Cabane…“ ein Versuch mindestens so viel Training ist wie zwei in einer kürzeren Route. Insofern sollte man die Versuchsanzahl nicht überbewerten. Ich hätte sie vielleicht trotzdem anders bewertet, wäre es eine Erstbegehung von mir gewesen, aber das liegt daran, dass ich für den nächst höheren Grad die doppelte Anzahl Versuche fordere. Eine Forderung, der wohl wenige andere Kletterer nachkommen, die aber dem exponentiellen Wesen der französischen Skala entspricht. Für viele reicht das Prädikat „schwerer“ aber für den nächst höheren Grad auch schon. Zudem denke ich nicht, dass die heutigen Mode 9a’s in Santa Rodellar schwerer als „Cabane…“ sind, wissen werde ich das aber frühestens im Winter. For so long: Lassen wir den Grad, wie er ist, denn er ist so schön, wie seine Trägerin!
Und vielleicht werde ich auch einfach nur immer, immer stärker…
Stark!
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