Montag, 18. April 2011

Swiss Intermezzo

Tricky Moves. Nils Favre in apell au sodom (8c) in Roche.

Während zwei Wochen Heimurlaub gelingen Pirmin zwei 8c und einige 8b und 8b+ in der Westschweiz

Der Durchstieg war noch ziemlich locker von der Hand gegangen, beim Filmen allerdings forderte mein Körper dann seinen Tribut für sechs Wochen an der frischen Luft. Plötzlich hatte ich Mühe mit den Einzelzügen. Kaum kriege ich meinen Arsch noch zur Umlenkung.

Wir schreiben den 23. März, den Tag meines Durchstiegs von „Jungle speed“ (9a) in Siurana. Meine Form hat sich nach einem fulminanten Schlussspurt direkt hinter der Ziellinie so richtig auf die Nase gelegt. Ab diesem Tag geht gar nichts mehr. Eindeutig die Botschaft: Es ist Pause angesagt!

Die nehme ich mir, zurück in der Schweiz. Auf jeden Fall mal eine Woche lang. Ja, ich würde gerne noch länger kürzer treten, aber irgendwie gelingt es mir nicht. Irgendwie brennt es mir unter den Fingernägeln, die schöne Form an den Fels zu bringen. Ich bräuchte etwas Kleingriffiges, leicht Überhängendes. So wie Siurana eben. Das einzige Gebiet mit schweren Routen allerdings, das ich in der Nähe von Genf – wo ich bei meiner Freundin wohne – kenne, ist St. George. St. George ist pure Dachkletterei. An großen Griffen. Viele, weite Züge. Tricky Dachmoves. Naja, nicht ganz das was ich suchte, aber schließlich will man ja alles können.

Und in St. George schwimmt zudem ein angeblich ziemlich fetter, noch ungeangelter Fisch: Man erzählt sich hinter vorgehaltener Hand von einem 9a-Dach! Da ich leider niemanden mit genaueren Infos erreiche, geh ich selber schauen, probiere alle mir unbekannten, schwer aussehenden Linien, eine 9a ist leider nicht dabei, alles max. 8c. Ich probiere also die, die ich für schwerer halte, schwerer wohl unter anderem auch, weil noch zwei Griffe nass sind. Ich kann sie recht schnell klettern, bin mir allerdings nicht sicher, ob das wirklich 8c ist. Auf jeden Fall ein netter Wiedereinstieg in die Dachkletterei. Und eindeutig schwerer, als eine als hart geltende 8b daneben, die ich noch hinterher schiebe.

Zwei Tage später erhellt mir ein Lokal die Angelegenheit. Was ich bereits geklettert bin ist 8b+ - mit trockenen Griffen wohl etwas gängiger – eine der anderen Routen – die ich auch bereits probiert habe – das ominöse Projekt. Wunderbar, die 9a’s hier sind ja noch chilliger, als in Spanien ;), denke ich mir und gehe noch mal rein.

Letztendlich ist es doch nicht ganz so leicht, weil ziemlich anhaltend und eben steil. Auch wenn es immer mal wieder ein paar gute Griffe gibt, man hängt immer in der Horizontalen und braucht schon eine gute Erholungsfähigkeit, um dort wirklich zu schütteln. Aber die hab ich dank der vielen Routen in Europas Süden ja und so brauche ich für dieses Projekt auch nur noch ein paar Versuche mehr. Letztendlich – nachdem es auch einer der Locals nochmal probiert hat – beschließen wir, dass es wohl bei 8c eincheckt. Ein Manko hat die eigentlich sehr unterhaltsame Kletterei leider: An der Crux befindet sich eine recht hohle, wenn auch nicht besonders brüchige Griffstruktur, man kann nicht wissen, wie sie sich bei schweren Aspiranten verhalten wird. Deshalb wähle ich als Routennamen das etwas sperrige Darmstadtium. Hierbei handelt es sich um das Element des Periodensystems mit der kürzesten Halbwertszeit. 0.17 Millisekunden. Ein wenig länger wird die Route wohl aber hoffentlich noch in diesem Zustand bleiben.

Wo wir schon in der über 45°-Überhängen sind, geht die Reise weiter nach Roche, ein Kleinod am oberen Ende des Genfer Sees, mit genialem Gestein, einer dank permanentem Wind an Schweizer Banken erinnernden Conditionsgarantie und einer wunderbaren 8c-Diagonale durch den Hauptüberhang. L’appel au sodom, ein an dieser Stelle besser nicht zu übersetzender Routenname, komplexe Traversenkletterei und Maximalkraftausdauer mit einem interessanten Abwärtssprung als Crux. Nachdem ich die Route bereits aus dem Vorjahr kenne, kostet sie mich dieses Mal nur noch weitere vier Versuche. Bleibt noch Zeit zum Filmen. Und diesmal kackt die Form nicht augenblicklich ab. Ein gutes Zeichen, dass hart klettern zuhause, doch erholsamer ist, als auf Reisen und es also weitergehen kann. Mit dem Reisen.

Nächstes Ziel auf unserer Passion verticale Bildbandreise ist Rodellar. Das Dachklettern wird sich also bald gelohnt haben! Erhältlich wird das Buch im Übrigen ab Ende des Jahres bei GeoQuest (http://geoquest-verlag.de) sein. Ich wünsche schon mal viel Spaß beim Lesen!

Montag, 4. April 2011

Spanischer Frühling - 9a, 8c+ und 8c in Siurana

Einer der schwersten beiden Zügen in Jungle speed 9a. Eingerahmt von Efeuranken.
Zwischen viel Sonne und Gechille gelangen mir diesen März in Siurana „Jungle speed“ (9a), „Chocolate caliente“ (8c+) und „Leche Caliente“ (8c). Und ein bisschen Frühling in die Doktrin des Leistungskletterns zu bringen…

Von politischen Frühlingen spricht oder liest man gemeinhin in Fällen von aus Sicht des Humanismus wünschenswerten Veränderungen in repressiven, von Doktrin behafteten Systemen. So z.B. geschehen im Prager Frühling 1968, oder auch in Überschriften zu den aktuellen Veränderungen in Teilen der arabischen Welt. Betrachtet man die Doktrin des Leistungssports in Bezug aufs Klettern und wie diese ausgelegt wird, dann trifft man vielerorts auf sehr seriös, professionell Anmutendes: Viel Training, viel Klettern, kontrollierte Ernährung, eine starke mentale Vereinnahmung, ausreichend Schlaf, keine Drogen, kein Alkohol. Viel Zielstrebigkeit, wenig Dahintreiben. Auch ich bin von diesen Anwandlungen nicht gefeit, immer wieder suchen sie mich heim und ich denke dann immer alles geben zu müssen für meine sportlichen Ziele. Ich fühle mich von mir selbst vor mir selbst hergetrieben. Nicht wenig Zeit verbringe ich in dieser Art Laufrad. Immer wieder. Bis jedes Frühjahr wieder – ich nach Siurana komme.

Siurana zieht mich in seinen Bann. Unweigerlich. Unausweichlich. Immer wieder gleich. Dieser Ort unterzieht mich einer Gehirnwäsche. Wäscht aus meinem Kopf den Gedanken des Ziels, zieht mich aus meinem Hamsterrad, erzieht mich zu Ganzheit. Mit jedem Tag wird der Leistungsaspekt des Kletterns unwichtiger, rückt in den Vordergrund, was dieser Ort wirklich zu bieten hat (neben den schönen, schweren Routen natürlich): Die unglaubliche Lage, die wilde, mediterrane Natur, den Wind, die Sonne, die Menschen, die auch deshalb gekommen sind, mit viel Zeit, viel Geduld. Tage, die beginnen, ohne dass klar ist, was mit ihnen geschehen wird. Vielleicht werden wir irgendwann gegen Abend am Fels einfinden, vielleicht werden wir einfach den ganzen Tag in der Sonne liegen, Gitarre spielen, ausufernde Diskussionen starten, kochen, essen, ohne Druck doch heute Abend dieses und jenes Pensum absolviert haben zu müssen.

Nur, geht da nicht die Form kaputt, verliert sich nicht der Wille zwischen all diesen angenehmen Dingen? Vielleicht, aber wäre das dann schlimm? Und es ist ja nicht so, dass man sich ganz des Kletterns entledigen wollte. Nur eben seiner repressiven Seite. Und von all dem Essen und dem in der Sonne liegen wird man ja bekanntlich erst so richtig stark. Selbst wenn man es gar nicht mehr wollte. Ziemlich direkt bekomme ich das zu spüren im Sektor Grau dels Mastets. Toni Arbonés hat mich vorgewarnt, Chocolate caliente sei eine schwere 8c+. Die acht Versuche an drei Tagen, die sie mir abverlangte, erzählen eine andere Geschichte. Genauso sein Nachbar Leche caliente. 8c auf kleinsten Griffen. Im zweiten Versuch knapp gescheitert, im dritten auch, der vierte fällt auf einen Tag an dem es wie aus Eimern schneite. Dicke, weiße Flocken und absolute Stille. Spannendes Geeiere über die nassen Meter am Ausstieg, dann ist auch sie im Sack.

Jungle speed hatte ich bereits im Vorjahr einmal angeschaut, sie versprach auch noch im Frühjahr beste Bedingungen zu bieten, schattig, sogar windig, verloren zwischen Gebüsch und Gebäum im Sektor La Capella. Explosive Züge, zwei ca. Fb7c+ Boulder hintereinander, dann noch eine 8a+ zur Kette. Bereits im sechsten Versuch bin ich nah dran am Durchstieg, fühle also keinerlei Druck angesichts der drei Wochen, die mir noch bleiben. Ich mache Ruhetage, wie es das Herz begehrt, projektiere nebenher noch Chicane, wir machen Fotos in der 9a. Und da passiert es, ich hole mir einen reisen Cut am Zeigefinger, eine Woche keine kleinen Leisten mehr. Kein Grund zur Sorge, bleiben ja noch zwei Wochen danach.

Eine Woche später. Die Haut passt. Aber die Sintflut ist hereingebrochen. Wir versinken im Nebel und im Wasser. Vier Tage Dauerniederschlag. Macht nix, bleibt ja noch eine gute Woche danach.

Wieder eine Woche später. Das Wetter ist schön, aber: Jungle speed hat sich in einen Wasserfall verwandelt. Einen Tag, zwei Tage, vier… Ich gehe trotzdem hin, nur um festzustellen, dass der Ausstieg immer noch in der Waschstraße parkt. Aber nach zwei Wochen kann es ja nicht schaden, die Züge nochmal etwas zu trainieren. Ich bouldere ein bisschen rum, geht ganz gut, ich mache einen Versuch von unten. Geht, geht, geht. Geht alles. Ich habe die Route praktisch durchgestiegen, bin aus allen Schwierigkeiten heraus, aber ich kann nicht die 7b zur Kette machen, weil das Wasser über die kleinen Leisten in der Platte läuft. Dann also das nächste Mal.

Einige Tage später ist sie dann tatsächlich trocken, und inzwischen habe ich es sogar etwas eilig. So entspannt bin ich dann trotz all dem angenehmen Leben nicht, dass ich auf diese Route verzichten wollte. Jetzt, wo ich sie praktisch schon geklettert habe. Ich könnte mich einfach gut vorbereiten: Kohlehydrate essen, viel schlafen, mich mental einstimmen auf die Route, kein Alkohol oder sonstiges. Doch hier kommt mir wieder der anti-doktrinische Frühling in die Quere, der mir das Leben hier so leicht vorkommen lässt. Am Abend bevor ich Jungle speed rotpunkt klettern soll, sind wir bis halb fünf Uhr morgens am debattieren, um halb neun kommt die Sonne und brät mich aus dem Schlafsack, kurzum: Ich fühle mich zerschlagen.

Leider sagt der Wetterbericht ab morgen gewittrige 20 Grad an. Es sollte also trotz aller Zerschlagenheit gehen. Sonst könnte ich ernsthafte Konflikte mit der Heimreise bekommen. Und was im Endeffekt passiert erstaunt mich mehr, als mich jedes Versagen, jede Art von Formtief hätte erstaunen können. Da wir die Route noch filmen wollen, muss ich insgesamt dreimal hoch. Diese drei Mal gestalten sich folgendermaßen. Im ersten Versuch des Tages steige ich die Route ohne das geringste Problem durch. Nirgends gerate ich an mein Limit, Züge, die ich bisher sogar beim Ausbouldern schnappen musste, gehen plötzlich fast statisch. Freude und Erleichterung sind riesig, ich schreie sie laut – etwas sehr laut – hinaus.

Danach – eigentlich rechne ich damit sie vielleicht gleich nochmal durchsteigen zu können – geht gar nichts mehr. Mit Mühe und Not bekomme ich die Züge noch hin, mein Körper aber sagt mir deutlich: Ich habe ausgedient für diesen Siurana-Aufenthalt. Zwar habe ich noch Chicane offen und wäre auch motiviert, aber angesichts der Lehrstunde gegen dogmatisches Leistungsklettern kann ich davon ohne weiteres absehen und die letzten zwei Tage wieder in der Sonne liegen.