Freitag, 10. September 2010

Gedankenspiele – Pirmin ermöglicht sich selbst „Torture physique 2.0“ (9a)

Der Blick ins nicht mehr ganz Blaue.
Erfolg beim Klettern kommt für gewöhnlich in Form eines Kraftaktes. Oder auch eines Aktes höchster Akkuratesse und Präzision. In jedem Fall in Form eines Durchstieges. In dem Moment, in dem der Schnapper der Kette dieses schöne „Klick“ von sich gibt.
Der Erfolg kam zu mir heute schleichend. Er kam nicht in einer Anpassung der Realität oder Umwelt an meine mich und meine Vorstellungen, also in Form des besagten Durchstieges, nein er kam zu mir in einer Anpassung meiner Vorstellungen an die Realität. Diese sieht nach vier Wochen in den Gastlosen (von denen zwei praktisch zu kalt zum klettern waren) folgendermaßen aus: In knapp 40 Versuchen habe ich mich immer höher gekämpft in „Torture physique 2.0“, nach nur einigen Versuchen durch den bis dato als „Torture physique“ bekannten 8c-Teil, den ich bereits vergangenes Jahr gepunktet hatte, ebenfalls recht schnell durch den anschließenden Fb7b Boulder, der die Schwierigkeit auf 8c+ steigen lässt und auch in die folgende Fb7b+ Stelle kam ich nach ca. 15 versuchen schon gut hinein. An dieser Stelle fehlten mir noch genau zweieinhalb Züge bis zur Originalumlenkung von „Torture“ aus dem Jahr `87. Und da ich dem Irrglauben erlag, bis dahin sei es nicht glatt 9a, entschloss ich mich nochmals vier Züge anzuhängen, um den ersten Haken einer weiteren von Francois Nicole in den 90er Jahren eingebohrten Verlängerung als Kette zu klippen. Vier Züge, die aus dem abschließenden Fb7b+ Boulder Fb7c machen und aus 9a eine 9a/9a+. Und das wollte ich dann, berannte und berannte es, drang Zug um Zug weiter nach oben vor, viel in der letzten Woche zweimal über der Originalumlenkung, einmal sogar mit dem von mir ernannten Schlussgriff in der Hand, rutschte aber mit der anderen Hand aus dem Loch, mit eiskalten Fingern, an einem Tag mit Wind, ca. 30% relativer Feuchte, glasklar, stahlblau, nach zwei Ruhetagen in überragender Form, bei apokalyptischem Grip und in einem zu 100% präzisen Go. Und heute musste ich einsehen, dass mehr in diesen Tagen nicht geht. Noch zwei Tage war ich oben gewesen, sehr gute Bedingungen, sehr gute Versuche, aber nichts so perfektes und Schluss immer am letzten Boulder.
Und so kam der Erfolg heute zu mir in Form dieser Einsicht, dass ich nach zwei Monaten und zwei 9a’s und immer 500 Höhenmeter Zustieg abgebrannt bin, dass ich meine letzten Wochen hier in Fribourg sehr genossen habe, aber dass diese 40 Versuche und die 9a reichen müssen, dass ich „frei“ haben, meine Familie in Deutschland mit meinem zwei Monate alten Neffen sehen will und dann weiter zeihen. Nach Céüse und in die Tarn. Und dass diese Leistung letzte Woche das Beste war, das ich in meinem Leben als Kletterer bisher geleistet habe und basta! Und wie ich mich in diesem Moment von allen weiteren Versuchen befreie, vom Projekt 9a/9a+, da spüre ich den Erfolg, wie er aufsteigt, wie er sich in mir ausbreitet, wie er mir wieder ganz die Augen öffnet für die wunderbare Landschaft hier oben, den Blick in die blaue Weite. Ein bisschen schade, dass er nicht in der heftigen Welle kam diesmal, ausgelöst vom „Klick“ der Kette, sondern mehr in diesem sich langsam ausbreitenden Strom der Erleichterung. So habe ich auch diese Form einmal erlebt und nach zwei Monaten auch wieder die angenehme Fokuslosigkeit einiger Tage ohne Kletterprojekt…